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  7. Interview zum Siegel "Haltungsform" der Initiative Tierwohl
Verpacktes HähnchenFleisch mit Halteungsformkennzeichnung der Initiative Tierwohl

„Das Label Haltungsform ist ein Siegel-Programm für Siegel“

Seit Januar 2022 können nicht nur Fleischprodukte, sondern auch Milch und Milchprodukte im Handel das Stufensiegel „Haltungsform“ tragen. Worum geht es dabei genau? Brother hat mit Dr. Patrick Klein von der Initiative Tierwohl, gesprochen und herausgefunden, was Händler und Erzeuger in Deutschland darüber wissen müssen.

Herr Dr. Klein, wie kam es zum Label „Haltungsform“ und wer steht dahinter? 

Dahinter steht die Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung, die auch die Initiative Tierwohl betreibt. Ursprünglich haben wir Tierwohl-Maßnahmen finanziert und deren Umsetzung kontrolliert, seit 2018 kennzeichnen wir auch Produkte.

2018 initiierte ein großer Lebensmitteleinzelhändler eine 4-stufige Haltungs-Kennzeichnung für Fleisch. Sinn und Zweck dieser Kennzeichnung war es, dem Verbraucher eine schnelle Kaufentscheidung zu ermöglichen und dabei das Tierwohl zu berücksichtigen. Schnell sind weitere Lebensmitteleinzelhändler nachgezogen. 2018 gab es daher eine Vielzahl an Siegeln. Für den Verbraucher war das verwirrend. 

Deshalb haben Sie das Label „Haltungsform“ eingeführt?

Ja. Der Branche wurde schnell klar: Wir brauchen eine einheitliche Kennzeichnung mit einem einheitlichen System sowie eine neutrale Instanz, die das Ganze überwacht und die einzelnen Tierwohl-Programme zuordnet. So haben wir im April 2019 mit dem Label „Haltungsform“ eine einheitliche Kennzeichnung ins Leben gerufen, die man jetzt überall, in weit über 20.000 Filialen des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland findet. 

Die „Haltungsform“-Kennzeichnung ist somit kein klassisches Siegelprogramm, bei dem Landwirte mitmachen können, wie das Siegel Initiative Tierwohl. Es gibt bei der Haltungsform-Kennzeichnung keine Überprüfungen der Umsetzung der Tierwohl-Maßnahmen auf den Betrieben. Vielmehr werden die Siegel der verschiedenen Tierwohl-Programme, die dann die Umsetzung prüfen, in ein 4-stufiges System eingeordnet. Diese bleiben auf der Verpackung und ihre Leistung wird anerkannt. Zugleich wird für den Verbraucher jedoch kategorisiert: Wie viel Tierwohl steckt dahinter?

Seit Januar gibt es das Siegel auch auf Milchprodukten, richtig? 

Ja, genau. Wir starteten mit der Kennzeichnung von Geflügel, d.h. Hähnchen und Pute sowie Schwein und Rind. Später kamen noch Ente und Kaninchen dazu. Seit Januar ist das Label auf Milch und Milchprodukte ausgeweitet worden. Dort gelten nun ähnliche Kriterien wie beim Fleisch.

Ist das Siegel für Hersteller von tierischen Produkten verpflichtend? 

Das Siegel ist nicht für Hersteller, sondern für Händler relevant. Landwirte machen bei den Tierwohl-Programmen mit und anhand der Tierwohl-Siegel nimmt der Handel dann die Einordnung in die „Haltungsform“-Stufe vor. Wir sagen dem Handel dabei, ob er z.B. Produkte mit dem Bio-Siegel in die Haltungsform-Stufe 4 einordnen und entsprechend etikettieren kann und legen dafür Regeln fest. 

Da der Handel den Anspruch hat, möglichst viele seiner Produkte zu kennzeichnen, ist eine Verpflichtung in dem Sinne nicht notwendig. Es gibt keine Kennzeichnungspflicht. Die Händler haben jedoch starkes Interesse daran, dass möglichst viele ihrer Produkte gekennzeichnet werden. Ohne den Aufdruck „Haltungsform“ könnten Verbraucher ja mittlerweile davon ausgehen, dass bei nicht gekennzeichneten Produkten kein hohes Tierwohl-Niveau vorliegt. 

Welche vier Haltungsformen unterscheidet das Label?

Bei „Stufe 1“ geht es nicht ums primäre Tierwohl, sondern um Hygiene-, Tierschutz und Tiergesundheitsaspekte, dargestellt durch das QS-Siegel. Erst „Stufe 2“ zeigt Tierwohl an. Sie umfasst über das QS-Siegel hinaus das Siegel der Initiative Tierwohl: die Tiere haben in der Regel etwas mehr Platz, als vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist, und zusätzliches Beschäftigungsmaterial oder Spezialfutter. 

Wer „Stufe 3“ ausweist, zeigt, dass die Tiere überdies Kontakt zu Frischluft und noch mehr Platz haben. Frischluft bedeutet jedoch nicht Auslauf, sondern z.B. eine offene Stallwand. Bei „Stufe 4“ haben die Tiere Auslauf nach draußen und genießen auch im Stall deutlich mehr Platz. Diese groben Unterscheidungsmerkmale werden für jede Tierart nochmals spezifisch festgelegt.

Bleibt die Frage: wie hoch sind die Anteile der Händler in den einzelnen Stufen? 

Eine Statistik zu einzelnen Händlern führen wir nicht. Einzelne Händler können sich aber überlegen, ob sie nur Produkte bestimmter Haltungsform-Stufen anbieten wollen. Einzelne haben sich bereits verpflichtet, ab 2030 nur noch Produkte ab Stufe 3 zu vertreiben. Natürlich gibt es auch exotische Produkte aus dem Ausland, die man nicht kennzeichnen kann.

Was müssen Händler tun, um das Label zu verwenden?

Will ein Händler ein bestimmtes Tierwohl-Programm bei sich im Laden vermarkten und Produkte mit der „Haltungsform“-Kennzeichnung versehen, muss er das bei uns beantragen. Wir prüfen, in welche Stufe das Tierwohl-Programm eingeordnet werden kann. Dazu schauen wir uns den Kriterienkatalog des entsprechenden Tierwohl-Programms an. 

Geprüft wird u.a., ob die Landwirte kontrolliert werden und ob Haltungskriterien öffentlich zugänglich sind. Passen die Kriterien, ordnen wir das Tierwohl-Programm in die entsprechende Stufe ein. Danach dürfen alle Händler mit demselben Tierwohl-Programm das für diese Tierart natürlich auch. Durch Stichproben testen wir im Laden, ob das regelkonform abläuft.

Was versprechen Sie sich vom neuen Label „Haltungsform“?

Das System läuft. Wir sind zufrieden mit der Entwicklung. Die Kennzeichnung „Haltungsform“ ist fest im Markt etabliert und sogar schon in Schulbüchern zu finden. Über 20.000 Filialen in Deutschland nutzen sie bereits. Repräsentative Umfragen, die wir in Auftrag gegeben haben, zeigen, dass 65 Prozent der Verbraucher das „Haltungsform“-Label kennen, 90 Prozent finden es gut bis sehr gut. 

Wir wünschen uns natürlich, dass es irgendwann nicht nur im Lebensmitteleinzelhandel praktiziert wird, sondern zum Beispiel auch in anderen Lebensmittel-Branchen wie der Gastronomie.

Welche Schritte stehen in Deutschland als nächste an? 

Zum Einen wollen wir die Kennzeichnung der Milch-Programme vorantreiben. Wir nehmen auch regelmäßig neue Tierarten auf, wobei wir bereits zu den „Exoten“ vorgedrungen sind. 

Schwierig ist zudem die Kennzeichnung von verarbeiteten Produkten. Bei einer gewissen Komplexität in der Produktionskette ist die Nachvollziehbarkeit der Ware nicht immer einfach. In einer Wurst können ganz verschiedene Sachen zusammengemischt sein – anders als bei einem frischen Stück Fleisch, das sich prinzipiell eher einem Hof und einer Tierart zuordnen lässt.

Wer führt das Tracking der Produkte bis zum Erzeuger durch?

Die Warenströme werden durch die Tierwohl-Programme getrennt. Wir ordnen die entsprechenden Tierwohl-Programme nur ein – und das ist bei verarbeiteter Ware seltener möglich als bei frischer Ware. An diesem Thema sind wir dran – ebenso wie bei der Milch, wo wir sicherlich weitere Tierwohl-Programme zulassen werden, damit sich die „Haltungsform“-Kennzeichnung auch auf Milch und Milchprodukten weiter verbreitet.

Können auch Kleinbetriebe wie Metzgereien und Hofläden mitmachen?

Bauern und Kleinstbetriebe können ebenso bei Tierwohl-Programmen mitmachen wie große Betriebe und sich auf dieser Basis ihre „Haltungsform“ einordnen lassen. Der aktuell kleinste Betrieb der Initiative Tierwohl hat beispielsweise nur 53 Schweine im Stall. 

Beim Einzelhandel ist das anders. Neben großen Ketten wie Edeka machen zwar auch kleinere Läden mit, doch müssen sie sich natürlich bei uns registrieren und eine Teilnahmegebühr entrichten. Prinzipiell ist es möglich. Nur die Metzgereien können bei der „Haltungsform“-Kennzeichnung derzeit noch nicht mitmachen. 

Warum ist es wichtig, die konventionelle Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft zu Gunsten von mehr Tierwohl auszurichten?

Das hat ethische und ökonomische Gesichtspunkte. Zum Einen: Tiere sind Lebewesen. „Mehr Tierwohl“ bedeutet, dass es den Tieren besser oder sogar möglichst gut geht. Ökonomisch betrachtet: Wer will, dass es den Tieren gut geht, muss sich das als Bauer auch leisten können. 

Dafür ist es nötig, dass Verbraucher die erbrachten Leistungen der Landwirte erkennen können. Dabei unterstützt die „Haltungsform“-Kennzeichnung, und zwar in einer Form, die es selbst kleinen Tierwohl-Programmen mit wenigen Betrieben ermöglicht, im großen Lebensmitteleinzelhandel mit entsprechendem Label eingeordnet zu werden. 

Welche Aufgaben nimmt die Initiative Tierwohl wahr?

Die Initiative Tierwohl gibt es seit 2015. Sie ist Deutschlands größtes Programm für Tierwohl. Unsere Kernarbeit sind Kontrolle, Finanzierung von Maßnahmen auf landwirtschaftlichen Betrieben und Kennzeichnung von Produkten mit dem Siegel der Initiative Tierwohl. Produkte mit diesem Aufdruck werden beim Label „Haltungsform“ in Stufe 2 eingeordnet.

Inzwischen werden mehr als ein Drittel aller Mastschweine und 70 Prozent des geschlachteten Geflügels in Deutschland nach den Standards der Initiative Tierwohl gehalten. Das ist eine Menge. Das Programm der „Initiative Tierwohl“ soll den Landwirten ermöglichen, ein bisschen mehr für ihre Tiere zu tun. Es ist für die Breite konzipiert.

Bleiben die bisherigen Siegel denn auf der Verpackung?

Ja. Das ist uns wichtig. Die Kennzeichnung „Haltungsform“ verdrängt keine Tierwohl-Programme vom Markt, im Gegenteil. Sie ist auf diese angewiesen. Die Vielfalt an Tierwohl-Programmen finden wir gut. Jedes hat seine Berechtigung und teils eine lange Leistungsgeschichte. Durch das neue Label entsteht aber eine zusätzliche Vermarktungschance für kleinere Tierwohl-Programme. 

So gesehen ist das Siegel „Haltungsform“ eine Möglichkeit, Tierwohl erfolgreicher an den Verbraucher zu bringen – obwohl das nicht unser Primärziel ist. Wir wollen dem Verbraucher vor allem eine schnelle Kaufentscheidung ermöglichen, unter Berücksichtigung des Tierwohl-Aspekts. In Folge erhält dieses wichtige Thema mehr Aufmerksamkeit – und das muss auch finanziert werden.

Wer profitiert sonst noch von dem neuen Siegel?

Wenn wir von Milch und Milchprodukten reden: Menschen, die aus Rücksicht zum Tier vegetarisch essen, beispielsweise. Da Vegetarier – anders als Veganer - dennoch tierische Produkte kaufen, können Sie mit Blick auf das Label „Haltungsform“ jetzt beim Kauf noch mehr Rücksicht auf das Tierwohl nehmen.

Dr. Patrick Klein ist Bereichsleiter für Kommunikation und Marketing bei der Initiative Tierwohl.

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